Hast du schon mal ein Buch gelesen, das dich gleichzeitig erregt und erschaudern lässt? Ein Buch, das die Grenzen deines Körpers verschwimmen lässt und dich fragt: Was ist real? Was ist möglich? Und vor allem: Wem gehört eigentlich dein Körper?
Carmen Maria Machado hat mit ihrer Kurzgeschichtensammlung “Ihr Körper und andere Teilhaber” (2017) genau solche Räume geschaffen. Räume, in denen queere Erotik auf unheimliche Elemente trifft und wo unsere Vorstellungen von Begehren, Körperlichkeit und Identität radikal neu gedacht werden.
Die Magie des Unausgesprochenen
Was Machado so besonders macht: Sie spricht das Unsagbare aus. In einer Gesellschaft, die queere Körper und queeres Begehren immer noch marginalisiert, schafft sie Raum für unsere komplexen, widersprüchlichen, manchmal sogar verstörenden sexuellen Wahrheiten.
In “Der Extrastich” – meiner persönlichen Lieblingsgeschichte der Sammlung – verwebt Machado städtische Legenden mit der Erzählung einer jungen Frau, deren Hals von einem mysteriösen grünen Band umschlungen wird. Die Erotik in dieser Geschichte ist elektrisierend und direkt, aber durchzogen von einer unheimlichen Spannung: Was passiert, wenn ihr Ehemann das Band löst, nach dem er so begierig greift?
Die Geschichte konfrontiert uns mit der beängstigenden Realität, dass Frauenkörper oft als Eigentum anderer betrachtet werden – selbst in intimen Beziehungen. “Der Extrastich” selbst bezieht sich auf einen zusätzlichen Stich, den Ärzte manchmal nach einer Geburt setzen, angeblich um die Vagina für den sexuellen Genuss des Ehemanns enger zu machen.
Körper als Schlachtfelder und Lustgärten zugleich
Was können wir als Autor*innen erotischer Literatur von Machado lernen? So verdammt viel!
- Wir dürfen den Körper als politischen Raum begreifen. Machados Werk erinnert uns daran, dass unsere Körper nie neutral sind. Sie sind Orte, an denen Machtstrukturen, Vorurteile und Befreiungskämpfe ausgefochten werden. Erotik kann und sollte diese Dimension anerkennen.
- Wir können mit Genres spielen. Warum muss erotische Literatur in einer Schublade bleiben? Machado vermischt Horror, Science Fiction, Fantasy und Märchen mit expliziten sexuellen Darstellungen. Diese Mischung erlaubt uns, über die konventionelle “Tab A in Slot B”-Mechanik hinauszugehen und stattdessen in tiefere Schichten des Begehrens vorzudringen.
- Wir sollten queere Erfahrungen zelebrieren. Machados Charaktere bewegen sich jenseits heteronormativer Grenzen. Sie begehren komplex, widersprüchlich und vielschichtig. Als Autor*innen können wir von dieser Vielschichtigkeit lernen und erotische Literatur schaffen, die die Vielfalt menschlicher Sexualität und Identität widerspiegelt.
- Wir dürfen das Unheimliche unserer Körper erkunden. Körper sind seltsam. Sie verändern sich, sie überraschen uns, sie entgleiten unserer Kontrolle. Statt perfekte, glatte Körper zu idealisieren, können wir die existenzielle Unheimlichkeit des Körperseins erkunden.
Die Poesie des Fleisches
Machados Prosa ist nicht nur mutig in ihren Themen, sondern auch in ihrer Sprache. Sie kombiniert poetische Bilder mit roher, direkter sexueller Beschreibung. Dieser Kontrast erzeugt eine elektrisierende Spannung.
In “Inventur” listet eine Erzählerin ihre sexuellen Begegnungen auf, während um sie herum eine Seuche die Welt dezimiert. Die klinische Nüchternheit der Aufzählung steht im Kontrast zur Intimität der beschriebenen Akte und der apokalyptischen Kulisse. Eine Lektion für uns alle: Erotische Literatur kann durch Kontraste leben.
Die Befreiung des erotischen Schreibens
Was mich an Machados Werk am meisten begeistert: Sie befreit die erotische Literatur von ihren konventionellen Fesseln. Sie zeigt uns, dass erotisches Schreiben nicht nur der Erregung dienen muss (obwohl es das definitiv auch kann!), sondern auch ein Werkzeug sein kann, um tiefgreifende Fragen zu erforschen:
- Wie erleben wir unsere Körper in einer Welt, die sie kontrollieren will?
- Wie navigieren wir durch Begehren, das manchmal mit Gefahr verwoben ist?
- Wie können wir uns selbst gehören in einer Gesellschaft, die uns enteignen will?
Egal, ob du selbst erotische Literatur schreibst oder sie einfach nur liebst zu lesen: Machados Werk ermutigt uns, mutiger zu sein. Nicht nur in dem, was wir darstellen, sondern auch in der Art, wie wir es tun.
Denk beim nächsten Mal, wenn du vor dem leeren Blatt sitzt, daran: Deine erotische Geschichte kann gleichzeitig ein Horrorfilm, ein politisches Manifest und ein Liebeslied sein. Wag es, die Grenzen zu sprengen – genau wie Carmen Maria Machado es tut.
Und jetzt: Welche Grenzen wirst DU in deinem nächsten Text überschreiten?