Colleen Hovers Roman “Hope Forever” entdeckte ich auf der Suche nach spannenden Titeln im Genre “New Adult“. Das ist ein Genre, das erst im Schatten der “Twilight-Saga“ von Stephenie Meyer und dessen Fan-Fiction “50 Shades of Grey” von E. L. James überhaupt möglich wurde: Bücher für die Altersgruppe von 18 – 30 Jahren, in denen der Schritt von zu Hause hin in die Welt ebenso thematisiert wird wie die ersten tiefen Liebesbeziehungen. Und in denen Sex – aufgrund der Altersgruppe – eine deutlich stärkere Bedeutung zukommt, als es im “Young Adult” möglich und notwendig ist.
Vielleicht wäre mir Hovers Roman gar nicht weiter aufgefallen, hätte er es nicht auf Platz 1 der New York Times Bestsellerliste gebracht. Das ist in etwa das amerikanische Gegenstück zur Spiegel-Bestsellerliste. So ein Geniestreich gelingt in der Regel nur, wenn das Buch auch über die eigentliche Zielgruppe hinaus eine Menge Leute anspricht. Grund genug, neugierig zu werden.
Lustig fand ich, wie Colleen Hover mit den “Zwölf Stufen körperlicher Intimität” umgeht, von denen ich gestern geschrieben habe. Natürlich gibt es auch im Roman “Hope Forever” das erste Abschätzen durch Blicke zwischen Sky und Holder, den ersten Augenkontakt und die ersten Dialoge.
Dann aber wird es unkonventionell. Und ich denke, dies ist einer der Gründe, warum “Hope Forever” derart die amerikanischen Bestsellerlisten hochgeklettert ist. Die Nummer mit dem Speichelabtausch zieht sie sehr gekonnt nach vorn: Sky joggt jeden Morgen und landet auf ihrer Tour zufällig vor dem Haus von Holder. Die Sommersonne schlägt erbarmungslos zu und Holder bietet Sky seine Wasserflasche an. Sie trinkt, dann nimmt er die Flasche wieder und setzt ebenfalls an – ohne die Öffnung vorher abzuwischen, wie sie registriert. So, wie Colleen Hover die Situation schildert, ist klar, dass es sich hier um eine Stufe der Intimität handelt, lange vor dem ersten Kuss:
Er setzt die Flasche an den Mund, ohne die Öffnung vorher abgewischt zu haben, und hält die Augen unverwandt auf mich gerichtet, während er den Rest austrinkt, ich kann nicht anders, als seinen Lippen dabei zuzusehen, wie sie den Flaschenhals umschließen, den noch vor wenigen Sekunden meine eigenen Lippen berührt haben. Spinne ich, oder ist das fast so, als würden wir uns zeitversetzt küssen?
Auch das Berühren der nackten Haut zieht Hover deutlich vor, und zwar ebenso symbolhaltig, in der gleichen Szene: Sky trägt zum Joggen eine Turnhose und ein kurzes Top. Als Holder die Wasserflasche zurücknimmt, gleitet ein Finger wie zufällig über Skys nackten Bauch. Wieder ist Sky sich der Situation voll bewusst.
“Wenn du mir deine Wasserflasche gibst, kann ich sie schnell für dich auffüllen.” Als er sie mir, ohne meine Antwort abzuwarten, aus der Hand nimmt, streifen seine Finger unabsichtlich über meinen nackten Bauch. Ich erstarre.
Der nächste Schritt der undogmatischen Stufenleiter ist die erste gemeinsame Nacht in einem Bett. Kein Kuss, keine Berührungen, alles in voller Unschuld. Sky liest Holder aus einem Liebesroman vor, den ein Freund ihr geliehen hat. Darüber schläft sie selbst ein. Holder bleibt bei ihr.
Erst später kommt es zur ersten Umarmung und dem ersten Kuss, auf die Schläfe. Es folgen ein paar unschuldige Küsse, bevor er mit Lippen und Zunge ihr Gesicht erkundet, ihren Hals, bis hinunter zum Ansatz ihrer Brüste. Und das alles noch vor dem ersten Kuss auf den Mund. Schließlich landen sie doch im Bett, er legt sich auf sie, beginnt, sich mit seinem ganzen Körper an ihr zu reiben. Bis auf seinen nackten Oberkörper sind beide vollständig angezogen. Mehr passiert auch an diesem Abend nicht.
Ich muss an den Satz denken, gute Literatur würde der Erwartungshaltung der Leser entgegentreten und sie ein ums andere Mal überraschen. Genau dies tut Colleen Hover mit ihrem Roman. Sie folgt eben nicht den 12 Stufen der Intimität, sondern würfelt sie durcheinander, spielt mit ihnen. Eine andere Regel fällt mir ein: Gute Autoren sollten die Regeln kennen – um sie anschließend sofort wieder zu brechen.
Viel Spaß dabei wünscht euch
Sandra