Der Unterschied zwischen Erotik und Pornographie

Was ist der Unterschied zwischen Erotik und Pornographie? Ich denke an Reiner Kunze. In dem Band “Die wunderbaren Jahre” erzählt er von der Aufruhr, die der Film “Die Legende von Paul und Paula” seinerzeit in seiner Stadt ausgelöst hatte. Dem Film wurde der Vorwurf gemacht, es handle sich letztlich um Pornografie. Dabei war nackte Haut im DDR-Kino der 70er Jahre eigentlich nichts Besonderes.

Die Rezensenten bezogen ihre Kritik vor allem auf eine Liebesszene, in der Paula, gespielt von Angelica Domröse, ihrem Freund Paul (Winfried Glatzeder) ein Bett aus Blüten bereitet, und ihn – nach einem lukullischen Picknick auf eben diesem Bett – mit Salz und Pfeffer bestreut, bevor die beiden sich zärtlich umschlungen lieben. Die Szene ist vollgestopft mit symbolischen Zwischenschnitten. Unter anderem einem, in dem die weiblichen Vorfahren Paulas dieser, die nur mit einem Schleier bekleidet ist, den Stoff vom Leib zu reißen versuchen. Die Macher des Films ahnten wohl bereits, dass dies zum Porno-Vorwurf führen würde. Nicht umsonst lassen sie bei dieser Szene einen Zuschauer wütend ausrufen: “Das ist Pornografie!” Woraufhin ein anderer lakonisch erwidert: “Dann schau doch weg.”

Reiner Kunze greift dies in seinem Prosaband “Die wunderbaren Jahre” auf. Er erzählt darin von einem Dialog zwischen sich und einer Freundin:

“Der Film ist angeblich Pornografie. Wegen der Blumen im Bett, und weil sie ihm nackt den Kranz aufsetzt.. Die Lehrer platzen bald.” […]
“Pornografie?”, sagte ich. “Weil eine Frau aus Freude auf den Mann, den sie liebt, einen halben Waggon Blumen aufs Bett kippt? Und weil sie ihn nicht im Wintermantel erwartet?”
“Also ist es kein Porno?” Sie stellte die Gitarre zwischen ihre Knie und verschränkte die Arme vor dem Griffbrett.
“In der Pornografie kommen Menschen vor, weil die Geschlechtsteile Füße brauchen.”

Ich liebe diesen Satz: In der Pornografie kommen Menschen vor, weil die Geschlechtsteile Füße brauchen. Er hat sich mir eingeprägt, als ich ihn vor vielen Jahren das erste Mal las. Und er ist für mich auch heute noch das Entscheidungskriterium, ob etwas erotisch oder pornografisch ist: Geht es nur darum, Geschlechtsteile in Szene zu setzen, oder erfahre ich in einer Story etwas über die Menschen, die miteinander Sex haben?

Klar, es gibt auch pornografische Literatur. Aber in der Regel lebt jede Story vom Konflikt. Und das setzt voraus, dass verschiedene Menschen mit verschiedenen Wünschen und Bedürfnissen aufeinanderprallen. Dass sie ihre Sexualität bewusst erleben, also mit allen fünf Sinnen. Vielleicht bin ich ein bisschen blauäugig. Aber ich denke, der Versuch, rein pornografische Literatur zu schreiben, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Was dabei rauskäme, wäre eine langweilige Aneinanderreihung von Stellungen. Oder mit den Worten Raymond Chandlers: Das würde sich in etwa so spannend lesen wie ein Eisenbahnfahrplan.

Ich will mich hier gar nicht auf die Frage einlassen, wie viel Handlung eine erotische Geschichte braucht. Das hängt vom Genre und der Zielgruppe ab. Romance-Leser wollen sicherlich mehr Hintergrundinformationen über die Protagonisten haben als die Konsumenten von BDSM-Literatur. Das behauptet zumindest Jade K. Scott in ihrem Buch “The Six-Figure Erotica Author: How I Make Six Figures Self-Publishing Erotica“.

Für mich und meine Art zu schreiben ist jedoch entscheidend, dass ich von Menschen erzählen will. Das schließt explizite Szenen nicht aus. Im Gegenteil. Ich finde es verlogen, den eigentlichen Akt nur anzudeuten oder schwülstig zu umschreiben. Wir haben heute die Gelegenheit, relativ frei von Tugendwächtern von dem zu erzählen, was zwischen zwei Menschen passiert. Kann sein, dass der Wind in ein paar Jahren schon wieder aus einer anderen Richtung weht und neue Moralisten uns das Veröffentlichen verbieten. Aber solange es geht, sollten wir die Chance nutzen und auf ehrliche, sinnliche Weise über Sexualität schreiben.

Alles Liebe,
Sandra

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