Cinematographisch schreiben

Erotik lebt von Präsenz. Sie geschieht im Moment – im Körper, im Blick, in der Spannung zwischen Bewegung und Stillstand. Genau das macht den erotischen Film so lehrreich für Autor*innen: Er zeigt, was geschieht, statt es zu erklären. Er arbeitet mit Haltungen, Berührungen, Perspektiven. Und genau diese Mittel können auch deinem Schreiben neue Tiefe verleihen – wenn du sie bewusst überträgst.

Ein Blick, ein Atemzug – wie Film erotisches Erzählen inspiriert

Wer erotische Szenen schreibt, denkt oft zuerst an Handlung: Wer will wen, was passiert als nächstes? Aber bevor überhaupt etwas geschieht, spüren wir im Film bereits alles – über die Körper der Figuren. Ihre Anspannung, ihre Scham, ihre Lust.

Eine Kamera braucht keine Erklärung: Sie bleibt einfach auf dem Gesicht einer Frau, deren Atem schneller wird. Auf ihrer Brust, die sich hebt. Auf der Innenfläche ihrer Schenkel, die sich unwillkürlich öffnen, während sie eine Stimme hört.

Als Autor*in hast du keine Kamera. Aber du hast Worte, die fokussieren können wie ein Zoom. Worte, die Nähe herstellen, Perspektiven setzen, einen Raum abtasten wie ein dolly shot. Das funktioniert nicht über Reflexionen oder Rückblenden – sondern über die bewusste Beschreibung dessen, was im Moment sichtbar ist.

Nacktheit als Inszenierung – nicht als Erklärung

Viele Schreibanfänger*innen nutzen Rückblenden, um den psychologischen Hintergrund zu liefern: Warum schämt sie sich? Warum zögert sie? Warum weicht sie zurück, als ihre Brust berührt wird?

Dabei bietet der Körper selbst oft schon die Antwort – wenn man ihn ernst nimmt.

In Nymphomaniac von Lars von Trier liegt eine Frau auf einem zerwühlten Bett. Ihre Vulva ist sichtbar, frontal ins Bild gesetzt. Ihr Atem ist flach, ihr Blick abgewandt. Ihr Körper zeigt sich, aber zieht sich zugleich zurück. Als Autor*in kannst du diese Szene nicht „übernehmen“, aber du kannst sie übersetzen:

„Ihre Oberschenkel lagen offen, ohne einladend zu wirken. Die Haut zwischen ihren Schamlippen glänzte feucht, aber kühl. Ihre rechte Hand lag auf dem Bauch, reglos. Nur ihr Atem – flach, stoßweise – verriet, dass sie noch da war.“

Diese Art der Beschreibung urteilt nicht. Sie erzählt keine Vorgeschichte. Sie zeigt nur. Und das reicht – wenn es gut gemacht ist.

Von der Leinwand auf die Seite – Filmszenen als Schreibübung

Wer filmisch schreiben will, muss lernen, visuell zu denken. Das bedeutet, Filmszenen genau zu beobachten und sich zu fragen: Was sehe ich? Und dann: Wie kann ich das mit Worten so beschreiben, dass es beim Lesen denselben Effekt hat?

Eine hervorragende Übung ist es, eine bestimmte Szene aus einem Film auszuwählen und sie literarisch umzusetzen. Keine plumpe Nacherzählung, sondern eine sinnliche, körperbezogene Beschreibung aus der Perspektive einer beteiligten Figur. Zwinge dich, beim Schreiben ins Detail zu gehen. Plane für jede Filmminute mindestens eine Normseite. So fängst du an, auf kleine Details zu achten. Im Film gibt es keine Zufälligkeiten.

Ein Beispiel: In The Dreamers steht eine junge Frau nackt in der Küche. Ihr Bruder schält eine Orange. Ihre Schamhaare sind sichtbar, die Brustwarzen hart, der Bauch entspannt. Niemand spricht über ihre Nacktheit. Doch sie ist da, im Bild, im Raum, zwischen den Geschwistern.

So könnte eine literarische Annäherung aussehen:

„Isabelle griff nach dem Löffel, ohne sich etwas überzuziehen. Ihr Bauch war noch feucht vom Duschen, eine kleine Perle Wasser rann über den Flaum oberhalb der Scham. Theo schälte die Orange mit einer Ruhe, die fast künstlich wirkte. Der Geruch von Zitrus mischte sich mit dem Dunst warmer Haut.“

Der Körper wird nicht bewertet. Er ist einfach da. Und wird dadurch zum zentralen Medium des Erzählens.

Schreiben mit Körper, nicht mit Kopf

Gerade in der literarischen Erotik sind es oft die die nicht filmischen Elemente, die die Leser zum Überspringen von Seiten führt. Die theoretischen Erörterungen über die Liebe in Emanuelle Arsans “Emanuelle” wurden von vielen Rezensenten als eher ärgerlich betrachtet – selbst bei solchen, die den Roman ansonsten verschlungen haben. Ähnlich geht es häufig mit langen Gedankenmonologen. Was die Geschichte greifbar macht, sind die Emotionen, die die Szene vermittelt. Körper sprechen – durch Bewegungen, Haltung, Blicke. Wer schreiben will wie ein Regisseur, muss lernen, sich ganz in eine Szene zu versenken. Zu überlegen, was man mitteilen will – und wie man dies sichtbar machen kann.

Wo stehen die Figuren? Wie viel Haut zeigen sie? Was tun ihre Hände? Wie reagieren ihre Körper? Wie riecht der Raum, wie fühlt sich die Luft an auf der Haut?

Writing Prompt

Wähle eine Szene aus einem Film, die dich erotisch berührt oder verstört hat. Beschreibe sie literarisch. Verzichte darauf, die Gedanken der Protagonisten in Worte zu fassen. Was ist in der Szene zu sehen, an Handlung, an Interaktionen, an Dekor? Konzentriere dich auf den Körper, auf die Berührungen, die Bewegungen, die Geräusche. Beschreibe auch die intimen Körperteile, soweit sichtbar. Beschreibe sie sinnlich und präzise. Lass die Szene für jemanden, der sie nicht kennt, lebendig werden – mit all dem, was sie ausmacht.

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