Erotik als Selbstermächtigung – Schreiben gegen den internalisierten Blick

Wenn der fremde Blick in uns wohnt

Wir wachsen mit Bildern auf, die uns sagen, wie ein Körper zu sein hat, um begehrenswert zu gelten.
Diese Bilder blicken zurück, selbst wenn niemand da ist.
Sie sitzen in Umkleidekabinen, in Selfiekameras, in unseren Gedanken.
Das ist der internalisierte Blick – der Moment, in dem wir anfangen, uns selbst so zu betrachten, wie andere uns sehen.

Für Autor*innen erotischer Literatur ist das gefährlich und zugleich faszinierend.
Denn wer über Körper schreibt, schreibt auch über dieses Fremdbild in sich: über das Sehen, das urteilt, und das Schweigen, das sich fügt.

Schreiben als Rückeroberung

Erotisches Schreiben kann diesen Blick brechen – wenn es sich weigert, ihn zu bedienen.
Das beginnt damit, dass der Text nicht beschreibt, wie etwas aussieht, sondern wie es sich anfühlt.
Nicht die Form der Brust zählt, sondern das Gewicht einer Hand darauf.
Nicht die Farbe der Haut, sondern die Wärme, die sie ausstrahlt.

In dieser Verschiebung liegt Selbstermächtigung:
Die Erzählerin übernimmt die Kontrolle über die Wahrnehmung.
Sie entscheidet, was sichtbar wird – und was nicht.

Der Körper gehört wieder ihr, weil sie ihn benennt, nicht weil jemand anderes ihn sieht.

Die Falle der Selbstobjektivierung

Viele Figuren – besonders weibliche – beginnen eine Geschichte mit einem internalisierten Blick.
Sie betrachten sich aus der Distanz:
„Ich wusste, dass mein Po zu breit war.“
„Ich fühlte, wie mein Kleid zu kurz war.“

Solche Sätze zeigen nicht Scham, sondern Überwachung.
Die Figur ist nicht bei sich, sondern bei den Augen anderer.
Erst wenn sie diesen Blick erkennt, kann sie ihn überwinden.

Ein Beispiel:
Eine Frau zieht sich für jemanden aus, den sie liebt.
Zuerst denkt sie daran, wie sie wirkt – ob das Licht schmeichelhaft ist, ob ihr Bauch flach genug aussieht.
Dann merkt sie, dass er sie ansieht, ohne sie zu bewerten.
Sie atmet anders. Sie hebt die Arme nicht mehr, um etwas zu verdecken, sondern um etwas zu öffnen.
Dieser Moment – der Übergang vom Bild zum Erleben – ist der Kern erotischer Selbstermächtigung.

Der Unterschied zwischen Selbstinszenierung und Selbstbestimmung

Viele verwechseln Selbstinszenierung mit Befreiung.
Aber solange der innere Blick auf Zustimmung wartet, bleibt die Figur Gefangene des Fremdblicks.

Selbstbestimmung beginnt, wenn das Schreiben den Körper nicht mehr für andere, sondern durch sich selbst existieren lässt.
Wenn Lust nicht performt, sondern erlebt wird.
Wenn ein Text sich nicht fragt, ob es gefällt, sondern ob es wahr ist.

Das kann sanft sein, trotzig, verletzlich, laut – aber es ist immer authentisch.
Denn wahre Erotik entsteht nicht aus Perfektion, sondern aus Bewusstsein.

Schreiben gegen den Spiegel

Der internalisierte Blick ist wie ein Spiegel, der nicht dein Gesicht zeigt, sondern eine Erwartung.
Erotisches Schreiben zerbricht diesen Spiegel.
Nicht, um blind zu werden, sondern um endlich eigenständig zu sehen.

Eine Figur, die lernt, sich selbst zu fühlen statt zu betrachten, verändert auch den Leser.
Sie lädt ihn ein, mitzuerleben, statt mitzuschauen.
Das ist der radikalste Akt erotischer Selbstermächtigung:
nicht mehr Objekt zu sein, auch nicht Idol – sondern Ursprung.


Für dein Schreiben

Wenn du über Lust schreibst, frag dich:
– Wem gehört der Blick in dieser Szene?
– Beschreibst du, wie sie aussieht, oder wie sie fühlt?
– Muss jemand sie sehen, damit sie existiert?

Erotik als Selbstermächtigung heißt: den Körper von innen erzählen.
Nicht polieren, nicht korrigieren – einfach bewohnen.

Writing Prompt

Schreibe eine Szene, in der deine Protagonistin sich selbst ansieht – im Spiegel, im Wasser, im Blick eines anderen.
Lass sie spüren, wann der fremde Blick kippt.
Und lass sie dann beschließen, dass sie sich selbst genug ist.

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