Sandra Manther: Testphase

Louisa ist eine der Pledges (oder PNM) von Gamma Xi Delta. Und wie jede Anwärterin auf einen der Plätze in der Harvestehuder Villa wird sie vom Vorstand auf Herz und Nieren geprüft. Sie muss eine heiße Testphase über sich ergehen lassen, in der die Schwestern sie mittels eines Fitnesstrackers aus der Reserve zu locken versucht. Wusstet ihr, dass man mit so einem Gerät sogar Orgasmen aufzeichnen kann? Es geht in der Geschichte einmal mehr ums “Hazing”, für das die Sororities in Amerika ziemlich in Verruf gekommen sind. Wo beginnt eigentlich Schikane? Und wie nehmen die einzelnen Beteiligten sie wahr? Louisa jedenfalls hat keine Lust, sich unterkriegen zu lassen.

Leseprobe:

Die Sommerhitze steht im Zimmer. Ich habe das Bettlaken abgestrampelt, fühle mich aber noch immer verschwitzt. Mein Nachthemd ist hochgerutscht und klebt an meinem Körper. Unsere Kleidervorschriften, schriftlich fixiert in einem Ordner, erlauben nachts weder Slip noch BH. Also zupfe ich das Nachthemd mühsam wieder so weiter herunter, dass wenigstens mein Po und die Scham einigermaßen bedeckt sind.
Lenka im anderen Bett schläft tief und fest. Aber vielleicht wacht sie auf, während ich penne. Ich würde ihr ungern meinen spärlich rasierten Busch präsentieren.
Wir studieren beide Medienwissenschaften. Wie ich hat sie sich um einen Platz bei Gamma Xi Delta beworben. Und wie ich hat sie das Angebot bekommen, probehalber eine Weile in der Villa in Harvestehude zu leben. Als Teil des Rekrutierungsprozesses. Das Chapter ist neu in Hamburg und sie lassen sich Zeit bei der Suche nach idealen Mitgliedern.
Halb wach, halb in Träume versunken, wälze ich mich in meinem Bett hin und her.
Gelegentlich schaue ich auf die Uhr. Die digitalen Ziffern leuchten rot im Dunkeln. Halb zwei war es beim letzten Mal. Fünf Stunden Ringen um ein bisschen Schlaf liegen noch vor mir. Frühstück gibt es unten im Esssaal von sieben bis neun. Kein Grund, frühzeitig das Bett zu verlassen.
Viele der Gedanken, die mich in dieser Nacht wachhalten, drehen sich um die Sorority. In meinem Traum sehe ich wieder die zehn jungen Vorstandsfrauen hinter einer langen Tafel im Chapters Room sitzen. Ihre Gesichter sind freundlich, ihr Lächeln jedoch eingefroren und unnachgiebig. Ich stehe ihnen gegenüber, von einem Spot angeleuchtet. Mein Herz pocht, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt.
Das Eintrittsinterview verläuft völlig anders als erwartet. Anfangs sind die Fragen zwar persönlich, aber noch nicht intim.
„Welchen Film hast du bis heute am häufigsten gesehen?“, fragt Danielle.
Ich brauche nicht lange zu überlegen.
„Spotlight“, sage ich.
„Wie oft und warum?“
„Ich weiß nicht, vielleicht sieben oder acht mal.“
„Und warum?“
„Ernst gemeint, die Frage? Rachel McAdams und Mark Ruffalo spielen grandios und die Dialoge sitzen auf den Punkt. ‚Spotlight‘ ist neben ‚Die Unbestechlichen‘ vielleicht das stärkste Plädoyer für den freien Journalismus. Und spannend wie ein Krimi.“
Wahrscheinlich könnte ich genauso gut Mandarin sprechen. In ihren Gesichtern zeigt sich keine Regung. Stattdessen:
„Was war der ungewöhnlichste Ort, an dem du bis jetzt warst?“
„Ich habe ein Jahr in Berkeley als Austauschschülerin gelebt. In der Sproul Hall hat Mario Savio seine berühmte Rede gehalten.“
„Wer?“
Melanie, eine junge Frau mit langen, roten Haaren und Sommersprossen im Gesicht stellt die Frage.
„Savio? Er war Anführer der Free Speech Movement.“
„Aha.“
Da sie offensichtlich nie davon gehört hat, fahre ich fort: „Mitte der 60er Jahre verbot die Unileitung jede Form politischer Arbeit an Berkeley. Und Savio war einer derjenigen, die den Protest damals organisierten.“
„Warum ist dir das wichtig?“
Wenigstens eine, die einen Hauch Interesse zeigt.
„Ich finde, jeder sollte das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern. Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich. Und Leute, die sich für die Grundrechte starkmachen, gehören zu meinen Helden.“
„Stell dir vor, du wärst ein Geist und könntest in den Körper anderer Menschen fahren. Was würdest du sie tun lassen?“
Was für ein Bruch. Die Vorstandsschwestern spulen ihren Fragekatalog ab, ohne sich inhaltlich auf mich einzulassen.
Die ersten Dinge, die mir einfallen, sind kompromittierend. Ich stelle mir vor, in eine schüchterne Frau zu fahren und sie dazu zu bringen, ihrem Traummann einen Kuss zu geben und ihm ihre Liebe zu gestehen. Eine selbstbewusste Frau? Ich würde sie ohne BH aus dem Haus gehen lassen, die Bluse offen bis zum Bauchnabel. Einfach, damit ich einmal erlebe, was für ein Gefühl es ist, von den Leuten auf der Straße angestarrt zu werden. Eine Verklemmten würde ich in die Sauna schicken. Sie sich überwinden lassen, vor anderen Menschen nackt zu sein.
Aber all das sage ich nicht, weil ich sonst sofort in einer Schublade feststecke.
„Wenn ich in eine andere Frau fahre, sorge ich dafür, dass sie in ihrem Leben eine Grenze überwindet. Etwas tut, was sie sich bisher nicht traut.“
An diesem Punkt nimmt das Interview eine Wendung. Sie fragen mich nach meiner Sexualität. Ich stöhne peinlich berührt auf, werde halb wach, blicke kurz auf die Uhr. 3 Uhr 13. Noch immer ist es viel zu früh zum Aufstehen.
„Wie alt warst du bei deinem ersten Orgasmus?“, fragt Danielle, die Präsidentin der Sorority, mit amerikanischen Akzent. Sie sitzt in der Mitte der Tafel wie Jesus auf da Vincis Bild vom letzten Abendmahl.
„Ich war sechs oder sieben Jahre alt.“
„Du hattest in dem Alter Sex mit einem Jungen?“
Ihre Frage klingt überrascht, aber es schwingt ein wenig Anerkennung mit. Ich muss sie enttäuschen.
„Nein, mit meinem Teddy. Ich habe ihn mir zwischen die Beine geklemmt.“
„Wie viele Sexpartner hattest du bis jetzt?“
Meine Wangen werden heiß. Ich wälze mich von einer auf die andere Seite des Bettes. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass da bisher nur Pusat war. Nach ihm hatte ich erst einmal die Nase voll vom Sex.
„Nur einen.“
„Was findest du beim Sex unangenehm?“
Alles, was er mit mir gemacht hat. Er war grob und hatte von Frauen keine Ahnung. Anfangs reichte es ihm, meinen Busen zu befingern. Als er merkte, dass er meine Nippel wachsen lassen konnte, konzentrierte er sich immer mehr auf sie.
Aber es dauerte nicht lang, bis er in meine Hose griff. Daran war nichts erotisch. Sein Tasten war unbeholfen. Meist konzentrierte er sich ohnehin auf meine Muschi. Schon das war mit Schmerzen verbunden. Zum einen, weil ich ohne Vorspiel knochentrocken blieb. Zum anderen, weil seine Fingernägel so ungepflegt waren, dass ich sie ständig an der empfindlichen Haut meines Scheidengangs kratzen spürte. Wenn er die Finger in mir vergrub und in mir herumwühlte, als grabe er nach Gold, blutete ich oft danach.
Er war der erste Mann in meinem Leben. Ich dachte, vielleicht sei das normal und hinge mit dem Jungfernhäutchen zusammen. Oder meine Scheide würde mit der Zeit robuster. Darum ließ ich es zu. Und ich wollte nicht, dass er mich für frigide hält. Darum erzählte ich ihm nicht, dass er mich nie auch nur in die Nähe eines Höhepunktes brachte.
Gelegentlich streifte er meine Klitoris. Ohne Absicht, ohne Rhythmus, ohne Fingerspitzengefühl. Als echten Mann interessierte sie ihn nicht. Und ich war zu feige, mit ihm über meine Bedürfnisse zu reden. So blieb das Petting mit ihm eine triste Erfahrung.
Was hatte Danielle gefragt? Ach ja. Was findest du beim Sex unangenehm?
„Schmerzen“, sage ich kurz.
Das sind Fragen, die mir noch nie jemand gestellt hat, nicht einmal Mel, meine beste Freundin seit damals in Berkeley. Ich versuche, so ehrlich wie möglich zu antworten, weil ich mir Lügen schlecht merke. Eher stoße ich einmal jemandem vor den Kopf, als dass ich mich mit einer Notlüge aus der Affäre ziehe.
Während ich auf die nächste peinliche Frage warte, steht plötzlich Nadine mit einer Videokamera vor mir und fordert mich auf, mich auszuziehen.

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