Geräusche in der erotischen Literatur

Sandra am Schreibtisch, über irgendwelche Papiere gebeugt. Ich selbst sitze im Sessel, ein paar Meter weiter, lese am Kindle einen erotischen Roman. Höre, wie sie mit den Blättern raschelt, gelegentlich auf die Tastatur ihres Laptops einhämmert. Ein tiefes Seufzen entfährt ihr, das ganz aus dem Inneren zu kommen scheint. Langgezogen, mit viel Timbre in der Stimme.

Ich kenne das Geräusch aus einem völlig anderen Zusammenhang. Und obwohl ich weiß, dass Sandra in diesem Augenblick lediglich über eine Aufgabe seufzt und damit die ganze Schwere ihres Daseins beschreibt, sind bei mir sofort völlig andere Bilder wachgerufen. Szenen erotischer Leidenschaft, Bilder vom Sich-Fallenlassen und Getragen-Werden. Momente, in denen Sandra beim Liebesspiel sich selbst vergisst und in den gemeinsamen Rhythmus findet. Geräusche wecken Assoziationen.

Ich mag es, wenn sie laut durch den Mund atmet. Obwohl wir seit Jahren zusammen sind, erregt mich dieses Geräusch noch immer. Sofort weckt es Erinnerungen an Momente, in denen sie neben mir im Bett liegt, ihren warmen Körper an meinen gekuschelt, ihr Mund dicht an meinem Ohr. Wo ich ihre Reaktion auf meine Berührungen sofort höre, in jedem Stocken ihres Atems, in der Veränderung des Atemtempos, in der Art, wie sie scharf die Luft einzieht, wenn meine Finger sie erschaudern lassen.

Warum beschränken sich Geräusche in der erotischen Literatur so oft auf Stereotype? Warum passiert so wenig mehr als das übliche Aufstöhnen beim Eindringen?

Wenn ich über das Thema “Geräusche in der erotischen Literatur” nachdenke, bin ich sofort bei Henry Miller. Ich glaube, es war im “Wendekreis des Krebses”. Van Norden erzählt Carl eine Geschichte, belanglos eigentlich. Es geht um irgendeine Eroberung. Aber dann erwähnt er dieses schmatzende Geräusch, mit dem er das Geschlecht einer jungen Frau öffnet. Und dieses Schmatzen lässt den Autor nicht mehr los, verfolgt ihn. Dieser Laut macht die Geschichte, die Van Norden bis dahin für Aufschneiderei hielt, glaubwürdig. Und Henry, der Autor, benutz die gleiche Episode dann später auch in einem zweiten Band, in “Stille Tage”, soweit ich mich erinnere. Er muss selbst von diesem Laut fasziniert gewesen sein, von seiner Wirkung in der Literatur. Hier mal der Originalton:

Er sagt, sie habe mit über die Stuhllehne baumelnden Beinen dagesessen, und plötzlich, sagt er, habe es ihn überkommen. Das war, nachdem er es bereits ein paarmal mit ihr getrieben hatte … nachdem er das Spielchen mit dem Matisse gemacht hatte. Er lässt sich auf seine Knie nieder – stell dir vor! – und mit seinen zwei Fingern … nur den Fingerspitzen, wohlgemerkt … öffnet er die kleinen Blumenblätter … sksch – sksch … ganz einfach so. Ein lebriges kleines Geräusch … fast unhörbar. .Sksch – sksch!. Lieber Gott, ich höre es die ganze Nacht hindurch!

Heny Miller: Wendekreis des Krebses

Das Rascheln von auf den Boden fallenden Kleidern fällt mir ein. Liebe ist voller Geräusche, Sex ist voller Geräusche. Hier würde sich ein Kompendium lohnen, beginnend mit den diversen menschlichen Lauten, dem Streichen von Händen über Stoff, dem leisen Öffnen eines Knopfes, bis hin zu den extatischen Schreien eines sich ankündigenden Orgasmus. Ich bin mir sicher: Erotische Literatur lebt davon, dass alle fünf Sinne angesprochen, ja orchestriert werden. Je besser das gelingt, desto größer die Chance, aus dem Einheitsbrei der Massenware herauszustechen. Oder, um es eine Nummer kleiner auszudrücken: Zumindest wollen Sandra und ich diesen Weg gehen. Wir würden uns freuen, wenn ihr uns über diesen Blog begleitet.

Euer Marc

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