Der Zusammenhang zwischen Scham und Perfektionismus – “Der perfekte Moment”

Perfektionismus ist oft nicht, wie viele denken, das Streben nach Exzellenz, sondern vielmehr ein Schutzschild gegen Scham und Verletzlichkeit. Diese Erkenntnis wird in Sandra Manthers Novelle “Der perfekte Moment” eindrucksvoll illustriert.

Die Protagonistin Marie verkörpert diesen Mechanismus geradezu lehrbuchhaft: Als erfolgreiche Architektin hat sie ihr Leben durchorganisiert bis ins kleinste Detail – von Excel-Tabellen für Einkaufslisten bis hin zu minutiös geplanten Präsentationen. Doch hinter dieser Fassade der Kontrolle verbirgt sich ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Jugend, bei dem sie sich schutzlos und beschämt fühlte. Ihr Perfektionismus entwickelte sich als Bewältigungsstrategie, als Versuch, nie wieder so verletzlich sein zu müssen.

Genau diese Dynamik beschreibt promovierte Soziologin, Forscherin und Autorin Brené Brown, die lange zum Thema Scham geforscht hat, in ihrer Arbeit: Die Triebfeder hinter dem Perfektionismus ist weniger die Suche nach optimaler Leistung als vielmehr die Angst, sich durch Fehler verletzbar zu machen. Sie ist der verzweifelte Versuch, die eigene Verletzlichkeit zu kontrollieren, indem man versucht, jeden Aspekt des Lebens vorherzusehen und zu planen.

Sandra Manther hat sich als Autorin einen Namen im Genre ENF (Embarrassed Nude Female) gemacht, einer literarischen Nische, die sich mit den komplexen Dynamiken weiblicher Sexualität und damit verbundener Scham auseinandersetzt. In Texten wie “Bühnenangst” oder der “Gamma Xi Delta”-Reihe erkundet sie verschiedene Facetten dieses Themas. Dabei geht es ihr nie um reine Exposition, sondern stets um die psychologischen Prozesse und persönlichen Transformationen ihrer Protagonistinnen.

Der Zusammenhang zwischen ENF und Scham ist dabei vielschichtig: Nacktheit berührt einen der fundamentalsten Aspekte menschlicher Verletzlichkeit. In unserer Gesellschaft, die Nacktheit stark reguliert und tabuisiert, wird unfreiwillige oder unerwartete Entblößung zu einem kraftvollen Katalysator für die Auseinandersetzung mit Scham, Selbstakzeptanz und persönlichem Wachstum.

In “Der perfekte Moment” nutzt Manther diese Dynamik geschickt, um zu zeigen, wie der Kontrollverlust – hier durch das Scheitern der perfekt geplanten Modenschau – paradoxerweise zu echter Intimität und Selbstakzeptanz führen kann. Die physische Nacktheit wird dabei zur Metapher für emotionale Verletzlichkeit, während die damit verbundene Scham als Transformationskraft wirkt.

“Der perfekte Moment” ist eine erotische Novelle, die geschickt psychologische Tiefe mit sinnlicher Spannung verbindet. Die Geschichte folgt Marie, die für ihren Partner Thomas eine perfekt choreographierte Modenschau plant – ein Versuch, ihre Beziehung zu retten und ihre eigenen Ängste zu überwinden. Doch als ihre minutiöse Planung durch technische Pannen zusammenbricht, steht sie vor der ultimativen Herausforderung: sich in ihrer Unvollkommenheit zu zeigen.

Die Novelle richtet sich primär an ein erwachsenes Publikum, das anspruchsvolle erotische Literatur schätzt, die über reine Oberflächlichkeit hinausgeht. Besonders Leser*innen, die sich selbst in dem Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Verletzlichkeit wiederfinden, werden sich in Maries inneren Konflikten wiedererkennen. Die Geschichte spricht dabei Themen an, die viele Menschen bewegen: die Angst vor Intimität, der Wunsch nach Perfektion und die Herausforderung, sich einem anderen Menschen wirklich zu zeigen.

Was die Geschichte besonders macht, ist ihre psychologische Authentizität. Sie zeigt, wie Browns theoretische Erkenntnisse im echten Leben aussehen können: dass wahre Intimität erst dann entstehen kann, wenn wir den Mut haben, unsere unperfekte Seite zu zeigen. Und dass manchmal gerade das Scheitern unserer perfekten Pläne uns zu den wertvollsten Momenten der Verbundenheit führen kann.

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