Nacktheit wird im Theater schon seit Jahrhunderten verwendet, wobei Beispiele bis zum antiken griechischen Theater zurückreichen. Tatsächlich war Nacktheit ein gängiges Element in griechischen Tragödien und Komödien, in denen die Schauspieler oft nackt auftraten. In einigen Fällen diente die Nacktheit dazu, Figuren wie Götter oder Helden darzustellen, die Ideale von körperlicher Schönheit und Stärke verkörpern sollten. In anderen Fällen diente sie dem komödiantischen Effekt.
Im modernen Theater wird Nacktheit häufig dazu verwendet, Themen wie Sexualität, Verletzlichkeit und Machtdynamik zu erkunden. Sie kann auch dazu verwendet werden, gesellschaftliche Tabus und Konventionen zu hinterfragen und eine politische Aussage zu treffen.
Ungewöhnlicher ist, dass Theaterproduktionen Nacktheit in den öffentlichen Raum tragen und die Schauspielerinnen sich so nicht nur einem zahlenden Publikum, sondern auch zufällig vorbeigehenden Passanten präsentieren. 2016 fand im New Yorker Central Park eine Aufführung von “The Tempest” von William Shakespeare statt. Sie wurde von der Torn Out Theatre Company produziert und legte ihren Schwerpunkt auf den Cultural Clash zwischen alter und neuer Welt.
Der Regisseur des Stücks, Pitr Strait, erklärte in einem Interview gegenüber dem Online-Portal Gothamist: „In fast allen seinen Stücken berührt Shakespeare auf die eine oder andere Weise den Zusammenstoß zwischen Alt und Neu, Gewöhnlichem und Radikalem. Auf der Grundlage von Shakespeares Text haben wir eine Welt erschaffen, in der Nacktheit Sinn macht: Die Inselbewohner leben fernab der Gesellschaft, frei von Gefahren und haben keinen Bedarf an Kleidung. Umgekehrt müssen die Schiffbrüchigen, die an Land gespült werden, selbst entdecken, dass ihre verzierte, einschränkende Kleidung in dieser seltsamen, wilden Welt völlig fehl am Platz ist.“
Die beratende Regisseurin Alice Mottola hatte zuvor die Gründe für die Abschaffung der traditionellen Gewänder so erklärt: „Der Sturm ist eines der bekanntesten und beliebtesten Stücke Shakespeares, aber wir wollen, dass das Publikum es mit neuen Augen sieht, als ‚etwas Reiches und Fremdes‘, so wie es ein Publikum vor vierhundert Jahren gesehen hätte. Das Ziel dieses Projekts ist ein kleiner Schritt in einem viel größeren Prozess der Normalisierung des weiblichen Körpers in einem nicht-sexuellen Kontext. Um das zu erreichen, mussten wir Nacktheit als integrales Mittel der Erzählung einsetzen. Die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, sollte zu der Geschichte passen, die wir erzählen, und unser Tempest ist eine Geschichte von Freiheit, Verwandlung und Akzeptanz. Die Leute mögen anfangs schockiert sein, aber wir hoffen, dass sich auch unser Publikum verändert und am Ende des Stücks Nacktheit nicht mehr als störend oder schockierend empfindet und sich vielleicht sogar mit dem Konzept der Nacktheit im Allgemeinen wohler fühlt.“
Marisa Roper, die in dem Stück die Miranda spielt, betont ebenfalls den feministischen körper-positiven Ansatz des Stückes: „Als Frau habe ich das Gefühl, es ist Zeit aufzustehen und zu sagen: Hey, das ist unser Körper, da ist nichts, wofür wir uns schämen müssten. Es ist einfach unser Körper. Ich hoffe, eine Produktion wie diese kann dazu beitragen, den weiblichen Körper zu normalisieren. Unsere Körper sind nicht von Natur aus sexuell.“
Die Produktion wurde von der Kritik einhellig gelobt und erhielt größtenteils positive Bewertungen, und das trotz einiger Versuche der konservativen Presse, die Aufführung zu skandalisieren. Das machte der Truppe Mut, das Stück im Folgejahr noch einmal aufzuführen, diesmal im Prospect Park in Brooklyn.