Marc Manther: Die Konfirmandin

Cover: Die Konfirmandin von Marc MantherDer Kern dieser Geschichte stammt von einem Freund, mit dem wir oft abends zusammensitzen und über Literatur diskutieren. Da er selbst heute keine Erotika mehr schreibt, hat er uns die Story überlassen und ich habe sie überarbeitet und in ihre jetzige Form gebracht.

Sandra meint, sie passe zu mir. Weniger wegen der an Pädophilie grenzenden Erotik, als wegen des desolaten Blicks auf die Institution Ehe. Ohnehin ist meine Frau ja davon überzeugt, falls jemals ein August-Strindberg-Preis für erotische Literatur ausgelobt wird, würde ich es auf jeden Fall auf die Short-List schaffen.

Darum geht es:

Sie ist 15. Und sich ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht durchaus bewusst. Wie alle Teenager probiert sie ihre Grenzen aus. Die begehrlichen Blicke anderer auf ihren jungen Körper nimmt sie als Bestätigung. Mit wenigen Worten pflanzt sie Bilder in den Kopf ihres Pastoren. Sie spielt mit ihm und rüttelt sein kleines, abgezirkeltes Leben gehörig durcheinander.

Leseprobe:

Pastor Bernd Obbes Augen schienen immer zu lächeln, und um diesen Eindruck zu vermitteln, hatte er viel Zeit vor dem Spiegel verbracht. Mit seinen erst 45 Jahren wollte er der Gemeinde als gütiger Vater gegenübertreten. Die Unsicherheit – in Glaubensfragen wie im menschlichen Miteinander – die ihn gelegentlich überfiel, verbarg er hinter einer zengleichen äußeren Ruhe, die sowohl Stimme als auch Bewegungen prägte.
Die Kirche, in der er seinen Dienst tat, stand in einem Problemviertel der Stadt. Hohe Arbeitslosigkeit, viele Sozialhilfeempfänger, Jugendliche ohne Perspektive. Von daher war er durchaus stolz auf die Gruppe Konfirmanden, die hier vor ihm saß. Er hatte sie zusammengeschweißt, hatte sie von der Straße heruntergeholt und ihnen mit mühevoller Hartnäckigkeit neues Selbstbewusstsein gegeben.
Gedanken spielten in der Bibel eine wesentliche Rolle. Sie entschieden über unser Leben, sie waren der Quell der Sünde, die uns von Gott trennte. Deswegen hatte er beschlossen, mit den Jugendlichen ein Experiment zu wagen.
„Schließt jetzt bitte einmal eure Augen und versucht, zwei Minuten lang nicht an rosa Elefanten zu denken!“
Pastor Bernd Obbe beobachtete die Konfirmanden, die nach einem kurzen, irritierten Zögern taten, was er von ihnen verlangte. Im gebrochenen Licht der Julinachmittagssonne saß die Gruppe ihm in dem kahlen Raum frontal gegenüber.
Sein Blick fiel auf Tine mit ihrem weiten, weißen T-Shirt. Unter dem leichten Stoff zeichnete sich ihr junger, straffer Körper ab. Kein BH, stellte er verlegen fest und wusste plötzlich nicht, wohin er schauen sollte. War das ein Nippelpiercing, das sie da trug? Das musste neu sein. Zumindest war es ihm noch nie an ihr aufgefallen.
In der Nacht zuvor hatte er eine bestürzende Entdeckung gemacht. Zum ersten Mal war ihm der zunehmende körperliche Verfall seiner Frau Maren schmerzlich bewusst geworden. Die Spuren, die die beiden Kinder an ihr hinterlassen hatten und die Falten der Weisheit in ihrem Gesicht, die er liebevoll zu betrachten suchte, machten sie zum unbarmherzigen Spiegel des eigenen Alterungsprozesses.
Aufgrund seines Glaubens hatte er in jungen Jahren nie wirklich Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt. Heute, wo er in Bezug auf die sexuellen Verfehlungen seiner Gemeinde nachsichtiger war, deprimierte ihn das.
Unvermittelt merkte er, wie Tine ihn fröhlich anlächelte. Er hatte, in Gedanken versunken, erneut auf die sanften Hügel ihres Shirts gestarrt. Als ihm dies bewusst wurde, lief er rot an und blickte um sich. Die anderen Jugendlichen waren, die Lider noch geschlossen, mit dem Experiment beschäftigt. Zum Glück.
„Ihr könnt die Augen aufmachen“, sagte er verlegen. „Wahrscheinlich habt ihr nie zuvor an rosa Elefanten denken müssen. Trotzdem wird euch schwergefallen sein, sie in den letzten Minuten aus euren Gedanken zu vertreiben. Durch meine Vorgabe hat sich dies absurde Bild festgesetzt.“
Er sah Tine in die Augen. Sie schmunzelte, den Kopf schelmisch schräg gelegt. Wie sollte er ihren Gesichtsausdruck deuten? Genoss sie es, ihn ertappt zu haben? Ein solcher Fehler durfte ihm nicht noch einmal passieren.
Es kostete ihn einige Selbstbeherrschung, nicht erneut an ihrem Körper herunterzuschauen.
„Vor ein paar Jahren,“ hörte er sich seinen vorbereiteten Text abspulen, „kam ein Junge zu mir in die Seelsorge, für den Onanie zum echten Problem geworden war.“
Wie geplant, besaß er nun die ungeteilte Aufmerksamkeit der Gruppe.
„Der Junge betete, Gott möge ihn befreien. Doch jedes Mal, wenn er im Gebet an Masturbation dachte, war das Bedürfnis wieder präsent. Mit der Zeit war sein ganzes Denken nur noch davon erfüllt.“
Er machte eine kleine Kunstpause und ließ die Worte auf die Jugendlichen wirken. „Wahrscheinlich habt ihr es bei dem Experiment eben gemerkt: Die einzige Chance, euch vor den rosa Elefanten in Sicherheit zu bringen ist, intensiv an etwas völlig anderes zu denken. Vielleicht hilft diese Erfahrung bei euren privaten Problemen. So viel für heute.“
Ein hörbares Aufseufzen ging durch die Gruppe. Stühle scharrten, mit einem flüchtigen Gruß verabschiedeten sich die Jugendlichen von Bernd. Er sah aus dem großen Promenadenfenster in das Wäldchen vor dem Gemeindehaus, das kleine, dunkle Mischwäldchen, das sich jeder gartenarchitektonischen Nutzbarmachung konsequent widersetzte. Während er noch in Gedanken versunken nach draußen starrte, trat zögernd Tine auf ihn zu.
„Ich habe da auch ein Problem.“
Bernd nickte verunsichert. Ungewollt glitt sein Blick an ihrem Körper herunter, kurz, verschämt, ängstlich. Ihre azurblauen Augen sahen ihn unverwandt an.
„Sehen Sie … Das, was Sie vorhin darüber gesagt haben, sich selbst zu streicheln, das kenne ich. Schuldgefühle habe ich keine; ist besser, als zu früh mit einem Jungen zu schlafen. Es ist nur … ich denke dabei immerzu an denselben Mann. Er ist verheiratet und weiß nichts davon. Ich stelle mir vor, wie … na ja, Sie wissen schon.“
Bernd ahnte es zumindest und verzichtete darauf, näher nachzufragen.
„Bisher habe ich geglaubt, der Mann interessiere sich nicht für mich. Aber vorhin, da habe ich gemerkt, wie Sie mich ansehen, und, na ja, ich dachte mir jedenfalls, Sie sollten es wissen.“
„Was wissen?“, fragte er.
„Also, – dass Sie der Mann sind, an den ich dabei immer denke!“

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