Sandra Manther: Selfies

„Mauerblümchen passen nicht zu unserem Image hier am Campus. Deshalb wirst du heute einen Spaziergang einmal um die Außenalster zu machen. Das sind knapp acht Kilometer, also wirst du eine Weile unterwegs sein. Deine Aufgabe ist es, drei junge Männer anzusprechen und sie zu bitten, ein Selfie mit dir zu machen. Du wirst auf den drei Fotos lachen, als ob es dir einen Riesenspaß bereiten würde, mit den Typen abgelichtet zu werden. Fotos, auf denen ich deine Zähne nicht sehe, zählen nicht.“
Du wirst dabei unseren Signature Look tragen: Jeans und Bodysuit. Und du wirst barfuß unterwegs sein.
Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir deine Schüchternheit überwinden können. Deshalb haben wir beschlossen, dass du die drei Männer bitten wirst, ihren Arm um dich zu legen und während des Fotoshootings deine Brust zu streicheln.“

Nach einer längeren Pause ist nun der neue Band unserer Sorority-Reihe um die Hamburger Schwesternschaft Gamma Xi Delta erhätlich. Wieder ist die Länge mit 77 Normseiten irgendwo zwischen Kurzgeschichte und Kurzroman angesiedelt. Wieder funktioniert die Story als Standalone, kann also auch gut gelesen werden, wenn ihr die ersten drei Bände der Reihe nicht kennt.

Darum geht es:
Selma ist neu in der Hamburger Sorority Gamma Xi Delta und hofft, endlich Anschluss zu finden und ihre schüchterne Art ablegen zu können. Doch ihre Schwestern haben eine besondere Challenge für sie: Um ihre Angst vor Fremden zu überwinden, soll sie barfuß und nur spärlich bekleidet einmal um die Außenalster laufen und drei junge Männer bitten, ein Selfie mit ihr zu machen. Dabei soll sie sich auch umarmen lassen und die Männer bitten, ihr ihre Brust zu streicheln. Selma ist entsetzt und unsicher, ob sie sich traut, die Aufgabe anzunehmen. Doch wenn sie ablehnt, wird sie ihren Platz in der Sorority verlieren und all ihre Hoffnungen aufgeben müssen. Wird Selma den Mut finden, sich ihrer Angst zu stellen und ihre Grenzen zu überschreiten?

Die Story würde nicht von mir stammen, wenn es darin nicht auch um Themen wie Empowerment, Body-Conscience, Selbstakzeptanz und natürlich das Überwinden der Schüchternheit ginge. Und dass Selma in einer kleinen evangelikalen Freikirche großgeworden ist, spielt in dieser Geschichte auch keine ganz kleine Rolle.

Hier eine kleine Leseprobe:

Mit einem Ruck fahre ich aus dem Schlaf hoch, mein Herz rast, ohne dass ich weiß, warum. Der Raum ist dunkel, nur das schwache Licht der Straßenlaterne dringt durch die Vorhänge. Jasmin und Vanessa schlafen tief und fest in ihren Betten, ihr Atem geht gleichmäßig. Dann sehe ich sie: Alina, die rechte Hand unserer Sorority-Präsidentin, steht in der Tür und starrt mich an. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Ich ahne nichts Gutes.

Meine Mitbewohnerinnen und ich sind potenzielle neue Mitglieder von Gamma Xi Delta, und wir müssen uns erst noch beweisen, um Teil der Schwesternschaft zu werden. Wenn Alina also mitten in der Nacht in unserem Zimmer auftaucht, ist das sicherlich kein gutes Zeichen. Ich wische mir den Schlaf aus den Augen und setze mich auf.

„Selma“, flüstert Alina mit einer leisen, dringlichen Stimme. „Danny möchte mit dir sprechen. Sie wartet in ihrem Zimmer.“

Ich runzle die Stirn. Alinas Gesichtsausdruck ist ernst und das macht mich nervös. Ich nicke langsam und versuche, meine Gedanken zu sortieren, bevor ich antworte.

„Ich komme gleich“, sage ich mit zögerlicher Stimme. Und füge hinzu, um mir ein wenig Zeit zu verschaffen: „Lass mich nur schnell duschen und mich anziehen.“

Alina schüttelt ungeduldig den Kopf. „Nein, Selma. Danny will dich jetzt sehen“, betont sie, und es ist klar, dass da kein Verhandeln möglich ist.

Ich spüre, wie die Anspannung in mir wächst, und seufze. Dann raffe ich mich auf und schlage die Bettdecke zurück. Die Kälte des Zimmers kriecht an meinen nackten Beinen hoch. Am Liebsten hätte ich die Decke über den Kopf gezogen und mich zusammengerollt. Aber wenn Danny ruft, gibt es kein Entkommen.

Ich habe nur ein einfaches Nachthemd an, viel zu durchsichtig, um so durch das Haus zu laufen. Das ist eine dieser nervigen Kleidungsvorschriften, mit denen wir Pledges schikaniert werden. Aber mir bleibt keine Zeit zum Anziehen. Alina hat klargemacht, dass Verzögerungen keine Option sind. Also folge ich ihr nur im Nachthemd aus dem Zimmer. Meine nackten Füße platschen leise auf dem Boden.

Als wir den Flur entlanggehen, wird meine Wahrnehmung schärfer. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee steigt mir in die Nase. Es muss später sein als gedacht, wenn unsere Hausmutter in der Küche schon Kaffee fürs Frühstück zubereitet. Das leise Knarren der Dielen unter unseren Füßen erinnert mich an das Gefühl, das dieses Verbindungshaus bei meinem ersten Besuch ausgelöst hat. Ich habe mich vom ersten Augenblick an wohl in diesem alten Gemäuer gefühlt. Das ist sicher einer der Gründe, warum ich unbedingt Mitglied bei Gamma Xi Delta werden wollte. Aber vor dem, was jetzt auf mich zukommt, habe ich Angst. Ich spreche mir Mut zu: „Gott ist bei dir, wenn du dich fühlst, als ob du keinen Grund mehr unter den Füßen hast und um dich herum Wellen, Wind, Wasser und Unsicherheit toben,“ heißt es beim Propheten Jesaja.

Als wir vor Danielles Tür stehen bleiben, dreht Alina sich zu mir um und sieht mich mit einer Miene an, die ich nicht deuten kann. Ich fühle, dass sie mir etwas sagen will, es aber aus irgendwelchen Gründen nicht tut. Mein Herz pocht in meiner Brust, und ich bin neugierig, aber gleichzeitig auch unsicher. Alinas Blick ist sanft und verständnisvoll, und sie nickt einmal, bevor sie sich ohne ein Wort von mir verabschiedet. Ich bleibe allein vor Danielles Tür stehen und atme tief durch.

Der Moment der Wahrheit ist da. Ich atme tief ein, hebe meine Hand und klopfe leise an Dannys Tür. Sie öffnet und steht vor mir. Sie strahlt eine ruhige Selbstsicherheit aus, die mich gleichzeitig einschüchtert und anzieht. Ihre Augen sind dunkel und tiefgründig, und wenn sie mich ansehen, fühle ich mich, als könnte sie meine innersten Gedanken lesen. Ihr Lächeln ist subtil, aber es verändert ihr gesamtes Gesicht und lässt sie noch schöner erscheinen. Sie trägt einen papaya-farbenen Bodysuit und darüber ein muschelfarbenes Jackett. Ihre Haare fallen in lockeren Wellen über ihre Schultern, und sie trägt nur minimal Make-up. Trotzdem oder gerade deshalb strahlt sie eine natürliche Schönheit und Eleganz aus, die mich fasziniert. Ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden, und ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt.

„Selma“, begrüßt Danny mich. Ihre Stimme hat eine fast soldatische Mischung aus Selbstsicherheit und Autorität. „Da bist du ja endlich. Das muss beim nächste Mal schneller gehen.“

Sie tritt einen Schritt zur Seite, damit ich reinkommen kann. Ich betrete den Raum, der vom sanften Morgenlicht durchflutet wird, und ich werfe einen kurzen Blick auf die elegante Einrichtung und die subtilen Hinweise auf Dannys Persönlichkeit, die überall verstreut sind. Mir fällt sofort das große Poster von Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany’s“ ins Auge, das die Wand hinter ihrem Bett ziert. Auf ihrem Nachttisch steht ein Foto von ihr und einem gleichaltrigen jungen Mann, der sie liebevoll anlächelt. Und an der Wand neben ihrem Schreibtisch hängt eine Reitgerte. Ich wusste nicht, dass sie reitet. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf sie, die Frau, die meine Zeit innerhalb der Schwesternschaft wie keine andere beeinflussen kann.

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