Emma Watson und das Recht auf Weiblichkeit

Da zeigt sich eine bekennende Femistin auf der Titelseite einer Hochglanz-Zeitschrift leicht bekleidet, mit einem grobmaschigen Burberry-Bolero über den Schultern, darunter offensichtlich nackt. Ihre Brüste sind halb zu sehen.  Das ehemalige Teenie-Idol Emma Watson lässt sich für die März-Ausgabe der Vanity Fair als viktorianische Rebellin inszenieren. Und die Internet-Community läuft Sturm.

Emma Watson for Vanity Fair, Märch 2017
Emma Watson für Vanity Fair/Source: instagram.com/p/BREIp12gHjk/

Der Doppelstandard für weibliche Künstlerinnen

Die Debatte und Kontroverse, die auf die Veröffentlichung dieses Bildes folgten, zeigen den doppelten Standard, mit dem wir, weibliche Künstlerinnen, heute konfrontiert sind. Besonders wenn man mit erotischen Themen arbeitet und wie Emma Watson feministische Anliegen vertritt. Deshalb lohnt es sich, die Reaktionen nach dem Fotoshooting für Vanity Fair genauer zu betrachten.

Das Phänomen der Imageveränderung junger Stars

Normalerweise würde ein solches Foto eines jungen Hollywood-Stars lediglich eine Erwähnung verdienen, aber keine Debatte auslösen. Vor allem, da Disney-Entdeckungen, von Lindsay Lohan bis Miley Cyrus, Selena Gomez oder Ariana Grande, alle ihre freizügige Phase hatten, in der sie versuchten, sich von ihrem braven Image zu lösen.

Diese Art von Entwicklung ist nicht neu. Selbst Romy Schneider nutzte Ende der 60er Jahre gewagte Auftritte in Filmen, um sich von ihrem biederen Image als Kaiserin Sissi zu lösen. In Filmen wie Derays “Der Swimmingpool”, Devilles “Das wilde Schaf” oder Zulawskis “Nachtblende” trat sie völlig nackt auf und erschreckte all jene, die sie als keusche Romantikerin sehen wollten.

Emma Watson: Von Hermione zur Feministin

Emma Watson hat einen sehr ähnlichen Weg mit ihrer Rolle als Hermione Granger in den acht Harry-Potter-Filmen. In ihren anschließenden Rollen – mit Ausnahme vielleicht von Sofia Coppolas “The Bling Ring” – blieb sie jedoch weitgehend ihrem Image als braves Mädchen treu.

Im Gegenteil, sie präsentierte sich als überzeugte Feministin und äußerte ihre Meinungen in verschiedenen Interviews. Sie wurde UN-Sonderbeauftragte für die Rechte von Frauen und Mädchen und trug in dieser Funktion zur Entwicklung der Kampagne #HeForShe bei, die für Geschlechtergleichheit, Stärkung der Frauenrechte und Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen kämpft.

“Our Shared Shelf”: Watsons feministischer Buchclub

Sie gründet den feministischen Buchclub “Our Shared Shelf” auf der Leseplattform GoodReads. Jeden Monat wird ein neuer Titel zum Thema Geschlechtergleichheit vorgestellt. Das erste Buch war die Autobiografie der amerikanischen Aktivistin Gloria Steinem, “My Life on the Road”. Aktuell wird Margaret Atwoods Roman “The Handmaid’s Tale” diskutiert, eine bedrückende Dystopie über ein Amerika, in dem religiöse Fundamentalisten die Macht übernommen haben und Frauen auf Gebärmaschinen reduziert werden.

Auf der Homepage des Buchclubs erklärt Emma Watson ihre Intention hinter “Our Shared Shelf”:

“Im Rahmen meiner Arbeit mit der UNO habe ich so viele Bücher und Essays über Gleichheit wie möglich gelesen. Es gibt so viele fantastische Dinge. Lustige, inspirierende, traurige, zum Nachdenken anregende, inspirierende. Ich habe so viele Dinge entdeckt, dass ich manchmal das Gefühl hatte, mein Kopf würde explodieren… Ich habe beschlossen, einen feministischen Buchclub zu gründen, um zu teilen, was ich lerne, und eure Gedanken zu hören.”

Das umstrittene Vanity Fair-Fotoshooting

Emma Watson zeigt sich also zum ersten Mal in der Öffentlichkeit in leichter Bekleidung. Für die März-Ausgabe der Vanity Fair ließ sie sich fotografieren, bekleidet mit einem weißen Tuch, das ihre Brust weitgehend enthüllt. Tim Walker ist der Fotograf. Und das Foto spielt mit Emmas erotischer Ausstrahlung: Mund geöffnet, Augenlider leicht gesenkt, Blick direkt in die Kamera gerichtet.

Die englische Boulevardzeitung The Sun veröffentlicht das Foto im Stil der deutschen Bild-Zeitung wenige Tage vor Erscheinen der Vanity Fair ganzseitig unter dem Titel “Beauty & the breasts” (Die Schöne und die Brüste) und erreicht damit ein Publikum, das wahrscheinlich nie ein anspruchsvolleres Glamour-Magazin kaufen würde und das sich kaum für Emma Watsons Interview interessiert. Der kurze Text zum Foto in The Sun beginnt logischerweise mit “DING-dong, Belle”.

Der Sturm der Kritik und Watsons Antwort

Ein Sturm der Kritik bricht sofort in den sozialen Medien los. Die Journalistin und Radiomoderatorin Julia Hartley-Brewer ist eine der ersten, die ein Foto der Sun-Seite twittert, begleitet von einem sarkastischen Kommentar: “Emma Watson: ‘Feminismus, Feminismus… Lohnungleichheit… Warum, oh warum, nimmt man mich nicht ernst… Feminismus… Oh, und hier sind meine Brüste!'” (https://twitter.com/JuliaHB1/status/836873834414366720)

Emma Watson antwortet in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters anlässlich eines Promotiontermins für “Die Schöne und das Biest”.

“Ich bin verärgert über all die Missverständnisse, die über den Feminismus kursieren. Feminismus bedeutet, Frauen eine Wahl zu geben. Feminismus ist kein Stock, mit dem man andere Frauen schlägt. Es geht um Freiheit, Befreiung, Gleichheit. Ich sehe wirklich nicht, was meine Brüste damit zu tun haben. Es ist sehr verwirrend.”

In diesem Interview fragt ihr Partner in “Die Schöne und das Biest”, Dan Stevens, sie verärgert, worum es bei dieser ganzen Kontroverse eigentlich geht. Emma Watson sucht nach Worten und gemeinsam unterstreichen sie die Absurdität der Angriffe: “Die Leute sagen, ich kann nicht Feministin sein und gleichzeitig… Brüste haben.” (https://www.youtube-nocookie.com/embed/t7OvCcxVlFo)

Die Beyoncé-Kontroverse: Ein Missverständnis?

Es stimmt, zwei Jahre zuvor hatte sie dem Magazin Wonderland ein Interview gegeben, in dem sie nachdenklich über Beyoncés visuelles Album “Beyoncé” sprach und es auch mit ihrem Feminismus in Verbindung brachte: “Als ich die Videos sah, empfand ich einen großen Widerspruch. Einerseits ordnet sie sich in die Kategorie der Feministinnen ein, andererseits zeigt die Kamera sie auf eine sehr männliche, sehr voyeuristische Weise”, hatte sie gesagt.

Aber dieses Zitat vermittelt ein sehr verkürztes Bild von Emma Watsons Position. Schließlich lieben die Medien das Sensationelle, und harsche Kritik kommt immer besser an als eine durchdachte und ausgewogene Aussage, wie sie sie tatsächlich im Interview gemacht hatte. Nach der Veröffentlichung der Vanity Fair-Fotos wurde der Auszug aus dem zwei Jahre alten Interview benutzt, um Emma Watson der Heuchelei und des doppelten Standards zu beschuldigen. Ein Sturm der Kritik tobte auf Twitter und Instagram.

Als Antwort teilte Emma Watson den Originaltext des vollständigen Interviews auf Twitter. Darin zeigt sich deutlich ihre Bewunderung für Beyoncé, besonders für deren feministische Arbeit. Sie spricht über Beyoncés Mut, sich mit diesen Videos dem üblichen Sensationalismus von MTV zu widersetzen. Für sie sind diese Videos Zeichen sexueller Emanzipation. Sie sagt, dass Beyoncés Videos ihr das Gefühl geben, dass “sie Feministin, Intellektuelle, all diese Dinge sein kann, aber auch ihre Weiblichkeit, ihre Schönheit annehmen kann, all diese Dinge, die ihrer Meinung nach ihrer Botschaft oder ihren Überzeugungen widersprachen”. Emma Watson schließt mit den Worten: “Das ist wirklich das Interessanteste an diesem Album. Es ist so inklusiv und behandelt Feminismus, Weiblichkeit und Frauen-Empowerment aus einem sehr breiten Blickwinkel.” (https://twitter.com/EmmaWatson/status/839005241978675200)

Feminismus und Erotik: Ein Spannungsfeld

Die Debatte um Emma Watsons Fotoshooting für Vanity Fair zeigt die Spannungen, die noch immer zwischen Erotik und Feminismus bestehen. Das Konzept der Selbstbestimmung über den eigenen Körper macht vielen Menschen Angst. Konservative Kräfte insbesondere widersetzen sich jeglichem Versuch weiblicher Autonomie, zu der auch das Recht gehört, den eigenen Körper zu zeigen.

Gloria Steinem, Gründerin und Chefredakteurin des feministischen Magazins “Ms.”, fasst dieses Konzept der körperlichen Selbstbestimmung gut zusammen, als sie nach ihrer Meinung zur Kontroverse um Emma Watson gefragt wird: “Feministinnen können tragen, was sie wollen. Sie sollten in der Lage sein, nackt sicher auf der Straße zu gehen.” (https://www.tmz.com/2017/03/03/gloria-steinem-emma-watson-feminism/)

Die Position von Alice Schwarzer

Die Badische Zeitung versucht, Alice Schwarzer mit der Kontroverse in Verbindung zu bringen: “Feministinnen wollen nicht, dass Frauen als Püppchen gesehen werden, auf ihren Körper reduziert und systematisch unterschätzt. Aber heißt das, dass ihnen verboten werden sollte, sexy zu sein? Die deutsche Feministin Alice Schwarzer hat eine klare Antwort auf diese Frage: Ihrer Meinung nach ist weibliche Erotik traditionell mit männlicher Macht verbunden – und weiblicher Ohnmacht.”

Alice Schwarzer antwortet schnell: “Früher gab es noch den Begriff ‘erotisch’. Jetzt wird alles einfach als ‘pornografisch’ bezeichnet, und das ist im Allgemeinen der Fall. Aber was ist wirklich der Unterschied zwischen erotisch und pornografisch? Emmas Foto hat nichts mit (selbst-)erniedrigender Zurschaustellung zu tun, sondern alles mit einer selbstbewussten Inszenierung! Sie sagt uns: Ich bin intelligent, ich bin emanzipiert – und ich bin sinnlich. Es ist das komplette Gegenteil von Pornografie.”

Medienmechanismen und feministische Solidarität

Wie kommt Schwarzer dazu, das Thema “Pornografie” anzusprechen? Das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat aus der Badischen Zeitung bezieht sich auf die aktuelle Anti-Pornografie-Bewegung. Aber deren Pionierinnen, wie Sheila Jeffries, Karen Boyle oder Pamela Paul, interessieren sich überhaupt nicht für Emma Watsons Fotoshooting für Vanity Fair. Selbst Gail Dines, die sich auf Facebook noch über Emma Watsons Versuche amüsierte, “Die Schöne und das Biest” eine feministische Botschaft aufzuzwingen, hat zu den aktuellen Fotos kein Wort gesagt.

Die Angriffe kamen also nicht aus dem Lager der Anti-Pornografie-Feministinnen, auch wenn einige Medien es so darstellten. Es ist offensichtlich, dass die Fotos nur als Vorwand benutzt wurden, um eine feministische Aktivistin und ihr Anliegen zu diskreditieren. Die Tatsache, dass auch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zu diesem Zweck verwendet wurden, entspricht den Mechanismen der Medien und nicht nur der sozialen Netzwerke.

Fazit: Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung

Als Künstlerinnen können wir dem entgegenwirken, indem wir sicherstellen, dass das Publikum so breit wie möglich ist. Wir können helfen, die Fakten zu verbreiten und unsere Solidarität mit denjenigen zu zeigen, die derzeit im Kreuzfeuer konservativer Kritik in den Medien stehen. Nackte Brüste sind sicherlich kein Symbol an sich. Es gibt den voyeuristischen Blick, aber es gibt auch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Emma Watson hat es ausgeübt.

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