Ihr Schweiß duftete so frisch wie Meerwind, der Talg ihrer Haare so süß wie Nussöl, ihr Geschlecht wie ein Bouquet von Wasserlilien, die Haut wie Aprikosenblüten …, und die Verbindung all dieser Komponenten ergab ein Parfum so reich, so balanciert, so zauberhaft, dass alles, was Grenouille bisher an Parfums gerochen, alles, was er selbst in seinem Inneren an Geruchsgebäuden spielerisch erschaffen hatte, mit einem Mal zu schierer Sinnlosigkeit verkam. Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mussten. Er war die reine Schönheit.
aus: Patrick Süßkind: Das Parfüm
Ich erinnere mich noch gut an das Jahr 1985. Patrick Süskinds „Das Parfum“ war gerade auf dem Markt erschienen und wir liefen schnuppernd durch die Gegend. Wir hatten einen unserer Sinne neu entdeckt und nahmen die Welt nun mit der Nase wahr. Alles war Geruch. Jeder Busch verströmte seinen eigenen Duft, wir rochen den herannahenden Regen ebenso wie den frisch gebrühten Kaffee. Und selbst die Liebe erlebte eine zusätzliche Dimension, weil wir uns nicht mehr nur in die Begegnungen zweier Hautflächen fallen ließen, sondern anfingen, intensiv aneinander zu riechen.
Berühmt geworden ist die Depesche Napoleons an seine Geliebte Josephine: „Komme morgen nach Paris zurück. Wasch dich nicht.“ Das klingt zunächst schräg. Aber Liebe geht durch die Nase. Wir entscheiden anhand des Geruchs, wen wir uns als Partner suchen. Auch wenn wir uns dessen meist nicht bewusst sind.
Inzwischen gibt es sogar Parfüms, die künstliche Pheromone enthalten. Also jene Stoffe, die wir mit Deos, Aftershaves und eben Parfüms erst einmal überdecken. Und die eigentlich dafür da sind, uns bei der Wahl des idealen Partners zu helfen. Nicht umsonst lassen die schönsten Abendkleider die Achseln frei. In der Achselregion nisten die meisten Duftdrüsen.
Aber es geht in diesem Blog nicht um Kulturkritik, sondern um den Versuch, Erotik mit allen Sinnen fassbar zu machen. Und hier bietet der Geruch erstaunlich viele Möglichkeiten, die in der Literatur oft hintenüber fallen. Dabei kann eine gut geschriebene Textpassage das Geruchsgedächtnis des Lesers aktivieren und ihm etwas bieten, was die Internetclip-Erotik ihm nicht geben kann. Also einen echten Mehrwert.
Nehmen wir einmal folgende Passage aus Laura Esquivels „Bittersüße Schokolade“:
„Ihr Schweiß war rosa und strömte einen durchdringenden, wahrhaft betörenden Rosenduft aus. […] Im Handumdrehen hatte der Rosenduft, den ihr Körper ausströmte, sich in beträchtlichem Umkreis verbreitet. Ja, er war bis über das Dorf hinaus vorgedrungen, wo die Revolutionäre und die Federales, die regimetreuen Truppen, sich soeben eine blutige Schlacht lieferten. Unter ihnen tat sich jener Villa-Anhänger, der eine Woche zuvor in Piedras Negras Einzug gehalten hatte und Gertrudis auf dem Dorfplatz begegnet war, durch besondere Tapferkeit hervor.
Eine rosige Duftwolke erreichte ihn, hüllte ihn ein und bewirkte, dass er unversehens in wildem Galopp Mama Elenas Farm entgegeneilte. Ohne zu wissen warum, hatte Juan, so hieß dieser Mann, dem Schlachtfeld den Rücken gekehrt und dort einen der Feinde mehr tot als lebendig zurückgelassen. Eine höhere Macht lenkte sein Tun. Er wurde vom überwältigendem Verlangen getrieben, so schnell wie möglich an einem nicht näher bestimmten Ort nach etwas Unbekanntem zu suchen. Dieses zu finden fiel ihm freilich nicht schwer. Er brauchte nur dem Duft von Gertrudis‘ Körper zu folgen.“
Völlig abgesehen davon, ob der Leser mit dieser Form mexikanischer Übertreibung etwas anfangen kann oder nicht: Der Duft von Rosen, vielleicht gepaart mit einer dumpfen Kopfnote sauren Schweißes, wird ihn für eine Weile begleiten.
Er kann sich auch kaum dagegen wehren. Das liegt daran, dass im Gehirn beim Lesen dieser olfaktorischen Schlüsselbegriffe die gleichen Bereiche angeregt werden, die auch bei der tatsächlichen Wahrnehmung von Gerüchen aktiv sind. Dies ist spätestens seit einer Untersuchung der spanischen Universität Jaume I Castelló bekannt, die ihre Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI) gemessen haben. Sie blendeten den Testpersonen Wörter auf einem Monitor ein und schauten, wie diese darauf reagierten. Das Gehirn reagierte genauso, als habe es den Geruch tatsächlich wahrgenommen. Es war also nicht zu unterscheiden zwischen literarischer und stofflicher Wirklichkeit.
Als Autoren können wir uns dies zunutze machen, indem wir unsere Protagonisten sich hemmungslos beschnuppern lassen. Ob dies nun der Geruch von Seife direkt nach der Dusche ist, ob das Parfüm, das sich die Liebste aufgelegt hat, ob Achselschweiß oder der sehr spezielle, animalische Duft der Intimregion, mag der jeweilige Plot entscheiden. Ich will an dieser Stelle einfach Mut machen, sich in diesem Bereich einmal literarisch zu versuchen.
Um zu sehen, wie sich Gerüche am besten beschreiben lassen, empfehle ich euch zum Einstieg die (nochmalige) Lektüre von Süskinds „Das Parfum“. Immerhin geht es darin auf über dreihundert Seiten um den natürlichen und künstlichen Geruch der Menschen. Macht euch eine Liste jener Sätze, mit denen er Gerüche beschreibt. Auf diese Art habe ich mir ein Gespür für die verschiedenen Techniken angeeignet, mit denen er Gerüche literarisch verarbeitete. Und Süskind hat sich lange Gedanken gemacht, damit seine Beschreibungen nicht stereotyp wirkten.
Alles Liebe,
Sandra