NACKT IN DER ÖFFENTLICHKEIT 3: Free the Nipple-Kampagne

Ähnlich wie die FEMEN-Aktivistinnen nutzen die Mitglieder der Kampagne „Free the Nipple“ ihre nackten Oberkörper häufig als Transparent. Dabei sind ihre Ziele lange nicht so divers. Auch haben sie sich als Gegner nicht das gesamte Patriarchat ausgesucht, sondern arbeiten sich an einer Frage ab: „Warum dürfen Männer in der Öffentlichkeit ihren nackten Oberkörper zeigen, während dies Frauen verboten ist?“ Es geht um Gleichberechtigung, besser gesagt um Gleichbehandlung.

Die Kampagne ist 2012 in den USA ins Leben gerufen worden. Damals war es zwar laut Gesetz in vielen Bundesstaaten bereits erlaubt, sich als Frau mit freiem Oberkörper in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das hatte jedoch nicht verhindert, dass konservative Polizisten immer wieder mit dem Argument der „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ Frauen festnahmen, die dies tatsächlich auch taten.

Die Initiatorin der Kampagne, Lina Esco, war seit 2005 als Schauspielerin tätig. In ihrem Drehbuch greift sie eine Aktion aus dem Juni 1986 auf, als sich sieben junge Frauen im Cobbs Hill Park, Rochester, NY zu einem Picknick trafen und dabei ihre Hemden auszogen und ihre Brüste entblößten, wohlwissend, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei auftauchen würde.

„Die Aktivisten wurden angeklagt, gegen Abschnitt 245.01 des Strafgesetzes des Bundesstaates New York verstoßen zu haben, der es verbietet, „private oder intime Teile“ des eigenen Körpers zu entblößen. In dem Gesetz wurde eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Geschlechtern getroffen: Bei „einer weiblichen Person“ umfassten diese „Teile“ „den Teil der Brust, der sich unterhalb des Warzenhofs befindet“.
Ramona Santorelli und Mary Lou Schloss, die beiden Initiatorinnen des Picknicks, fochten ihre Verurteilungen vor Gericht an. Sie argumentierten, dass es aufgrund der Gleichheitsklausel des 14. Verfassungszusatzes verfassungswidrig sei, wenn der Gesetzgeber Frauen – aber nicht Männern – verbiete, oben ohne zu gehen.
Das Gericht hob die Verurteilungen der Frauen auf, ging aber nicht so weit, wie Santorelli und Schloss es wollten.
Stattdessen wich die Mehrheit des Gerichts der Verfassungsfrage mit einer knappen Entscheidung aus. Das Gericht verwies auf eine frühere Entscheidung aus dem Jahr 1973, in der es hieß, dass Abschnitt 245.01 des Strafgesetzbuchs nicht auf die „nichtkommerzielle, vielleicht zufällige und sicherlich nicht unzüchtige Entblößung“ angewendet werden sollte.“

https://www.npr.org/sections/thetwo-way/2015/08/24/434315957/topless-in-new-york-the-legal-case-that-makes-going-top-free-legal-ish?t=1653319647355

Lina Esco schrieb ein Drehbuch mit dem Arbeitstitel „Girlrillaz“, in dem es um eine Gruppe junger Aktivistinnen geht, die sich in New York City entblößt, um so gegen die Ungleichbehandlung zu demonstrieren. Der Film erzählt, wie sie nach anfänglichen Rückschlägen mehr und mehr Unterstützer finden, die das Problem in die Öffentlichkeit tragen.

Es wird kolportiert, Esco habe zunächst einen Dokumentarfilm gedreht, der sie selbst zeigt, wie sie mit freiem Oberkörper durch New York City läuft. Diese Doku habe sie dann für Teaser benutzt, die sie in den sozialen Medien unter dem Hashtag #freethenipple veröffentlichte. Aber einen solchen Dokumentarfilm gibt es nicht. Die Wirklichkeit sah etwas anders aus.

In einem Beitrag für die Huffpost erzählt Lina Esco:

„Free The Nipple basiert auf den realen Bemühungen einer Gruppe von Frauen, die wie Delacroix‘ „Die Freiheit führt das Volk“ mutig gegen die mit zweierlei Maß gemessenen Körperzensurgesetze in New York kämpften, welche vorschrieben, dass nur Männer in der Öffentlichkeit oben ohne sein dürfen. Ihre direkten Aktionen führten 1992 zum Sieg und zur Legalisierung des öffentlichen Oben-ohne-Tragens für Frauen in New York City – und dennoch verhaftete die NYPD weiterhin Frauen! Und so ging ich 2012 mit meinem Cast, meiner Crew und Heerscharen von Oben-ohne-Frauen auf die Straße, um diesen verrückten Krieg gegen die Brüste von Frauen zu beenden. Und in einem Fall, in dem das Leben die Kunst imitiert – oder genauer gesagt, ich denke, Kunst katalysiert ziviles, bürgerliches Handeln -, geschah in der ersten Woche, in der wir mit den Dreharbeiten zu Free The Nipple begannen, etwas Außergewöhnliches: Unser kleiner unabhängiger Film explodierte in eine ausgewachsene „Real Life“-Serie direkter Aktionen, bei denen Oben-ohne-Frauen, Aktivistengruppen und Graffiti-Künstler in die Straßen von New York einfielen und einen kulturellen Krieg für unsere Freiheit führten. Es war mehr als inspirierend zu sehen, wie so viele engagierte Menschen aus so vielen Bereichen des Lebens ihren Teil zu einer konzertierten Bewegung beitrugen.“

https://www.huffpost.com/entry/free-the-nipple_b_4415859

Die Aktionen sollten den moralischen Doppelstandard der Gesellschaft aufzeigen, der Männern erlaubt, ihre Nippel zu zeigen, dies bei Frauen jedoch verwerflich findet, so dass es ihnen nicht möglich ist, zum Beispiel in der Öffentlichkeit ihre Babys zu stillen. Und während im Fernsehen Krieg und Verbrechen auf allen Kanälen laufen, war Janet Jacksons freier Nippel während des Superbowls ein Skandal, der die internationalen Medien tagelang beschäftigte.

Immer wieder streut die Filmemacherin Zitate berühmter Männer ein, um ihren Thesen mehr Gewicht zu geben. Dabei bedient sie sich neben John Lennon oder Gandhi auch bewusst der pornografischen Argumentationsketten: „Wenn ein Land allgemein Obszönität größtenteils durch Sexualität definiert, statt durch Krieg und Töten und Hassen, was für eine Welt ist das?“, fragt etwa Hugh Hefner. Und von Larry Flynt stammt das Zitat: „Ich denke, die wahre Obszönität ist, die Jugend in dem Glauben zu erziehen, dass Sex etwas Böses, Hässliches und Schmutziges ist. Und doch ist es heldenhaft, Gedärme und Blut auf möglichst übelste Weise zu vergießen, im Namen der Menschlichkeit. Fragen Sie sich Folgendes: Was ist obszöner, Sex oder Krieg?“

Letztlich geht es den Filmemacherinnen und Aktivistinnen darum, für die Hypersexualisierung der Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Was bedeutet es in der modernen Gesellschaft, eine Frau zu sein, wenn schon jungen Mädchen dazu erzogen werden, sich für ihre Brüste zu schämen und sie möglichst gut zu verstecken?

Zunächst sah es so aus, als fände Lina Esco für ihr Projekt keinen Verleih. Deswegen begann sie, kurze Ausschnitte aus ihrem Film, die die verschiedenen Aktionen zeigten, in den Social Media zu veröffentlichen. So hat Lina Esco noch vor Veröffentlichung des Films im Dezember 2014 Unterstützung von zahlreichen Prominenten erhalten: Im Laufe des Jahres 2014 posteten mehrere Prominente wie Miley Cyrus, Lena Dunham, Chelsea Handler, Rihanna und Chrissy Teigen Fotos in den sozialen Medien, um ihre Unterstützung für die Initiative Escos zu zeigen.

Allerdings benutzten diese Promis zwar das Hashtag bzw. den Slogan, doch richtete sich derene Kritik vor allen an die sozialen Medien, die ebenfalls jede Form der Darstellung weiblicher Nacktheit, insbesondere der Nippel, zensieren und dementsprechend auch Posts mit solchem Inhalt löschen. Dadurch bekam der im Film gezeigte Kampf gegen ungleiche Behandlung eine weitere Bedeutungsdimension. Es ging plötzlich auch um Pressefreiheit und Zensur.

„Wir versuchen, die sozialen Medien zu hacken. Das Internet zu demokratisieren. Die Zensur in diesem Land endgültig abzuschaffen“, erklärt Griffin Newman alias Orson dementsprechend an einer Stelle des Films. Dieses Ziel wirkt ähnlich hoch gegriffen wie das Ende des Films, das suggeriert, die Free-the-Nipple-Kampagne finde überall auf der Welt Nachahmer. Zu sehen sind Filmschnipsel mit den Untertiteln: Occupy Wall Street, Canada, Russia, Finnland, Sweden, Tunesia, Ukraine. Teilweise zeigen sie auch den Kampf der Ordnungsbehörden gegen die nackten Frauen wie in Tunesien oder Russland, aber auch den unglaublichen Zustrom von Unterstützerinnen wie in Finnland.

Ob all diese Bilder authentisch sind, lässt sich nicht sagen. Aber vielleicht kommt es darauf auch gar nicht an. Der Oben-ohne-Protest ist in breiten Bevölkerungsschichten angekommen, ob nun durch direkten Einfluss der Kampagne oder aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse, die einen Wandel in den Köpfen der Menschen bewirken.

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